Bipolare Störung

Die bipolare Störung zeichnet sich durch Veränderungen der Stimmung, des Antrieb und der Aktivität in zwei entgegengesetzte Pole aus. Das Ersterkrankungsalter liegt im Mittel bei 22 Jahren (McElroy et al., 2001), Frauen und Männer sind gleich häufig betroffen (Wittchen, 2000). Der Verlauf der Erkrankung und die Symptome bzw. die Anzahl und Ausprägung der Krankheitsepisoden ist individuell sehr unterschiedlich. Während depressiver Phasen ist die Symptomatik vergleichbar mit der unipolar depressiven Erkrankung, wobei die Phasen bei BP abrupter beginnen (Hegerl et al., 2008). Die Patienten leiden über mindestens zwei Wochen durchgehend unter gedrückter Stimmung, Antriebslosigkeit und Verlust von Freude und Interesse. Weiterhin zeigen sich typischerweise Schlafstörungen, Appetitlosigkeit sowie Gefühle von Hoffnungslosigkeit und Minderwertigkeit, bis hin zu suizidalen Gedanken.

 

Manische oder gemischte Episode

Sobald ein Patient erstmals eine manische oder gemischte Episode erlebt, wird die Diagnose der bipolaren Störung nach der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10; WHO, 1992) mit der Kodierung F31 gestellt. Die Manie zeigt sich in einer ungewöhnlich gehobenen Stimmung oder auch Gereiztheit, die mindestens eine Woche anhält und eine schwere Beeinträchtigung der Lebensführung darstellt. Weitere Symptome sind Antriebssteigerung, Ruhelosigkeit, Rededrang, Ideenflucht, Gedankenrasen, vermindertes Schlafbedürfnis, Verlust sozialer Hemmungen sowie eine überhöhte Selbsteinschätzung. Patienten, die voll ausgeprägte Manien aufweisen, werden als Bipolar Typ-I diagnostiziert. Liegen weniger ausgeprägte manische Symptome vor („Hypomanie“), die über mindestens vier Tage anhalten und das alltägliche Leben weniger stark beeinträchtigen, spricht man vom Bipolar Typ-II. Ca. 20% der Patienten leiden unter einem schnellen und häufigen Phasenwechsel (mindestens vier Phasen pro Jahr), was als „rapid cycling“ bezeichnet wird (Carvalho et al., 2014). Ein manisch-depressiver Mischzustand ist durch das gleichzeitige Vorhandensein von Symptomen der Depression und Manie gekennzeichnet. So kann ein Patient beispielsweise unter einer gedrückten Stimmung und Angstgefühlen leiden und gleichzeitig sehr unruhig, antriebsgesteigert und im Denken und Reden beschleunigt sein. Zusätzlich wird in den Klassifikationssystemen unterschieden, ob BP während der akuten Krankheitsphasen unter psychotischen Symptomen leiden oder nicht.

 

Ätiologie der bipolaren Störung

Bezüglich der Ätiologie der bipolaren Störung geht man derzeit von einem Vulnerabilitäts- Stress-Modell aus. Zahlreiche Familienstudien haben eine erhöhte Prävalenz der bipolaren Störung bei Angehörigen von BP aufgezeigt (Alda, 1997). Verwandte ersten Grades haben ein erhöhtes Erkrankungsrisiko von 40 %, bei eineiigen Zwillingen liegt das Lebenszeitrisiko bei 70 % (Muller-Oerlinghausen, Berghofer, & Bauer, 2002). Die Ergebnisse genomweiter Assoziationsstudien ergaben einige vielversprechende Kandidatengene (Domschke & Reif, 2012). Bisher gibt es allerdings nur wenig konkrete Gen-Loci, die die Vulnerabilität für die bipolare Störung in einem nur geringen Maß erhöhen.

 

Genetische Disposition bei bipolarer Erkrankung

Trotzdem wird davon ausgegangen, dass eine genetische (und/ oder erworbene) Disposition vorliegt, die sich in neurobiologischen Veränderungen der Emotionsregulation sowie einer Dysregulation der Neurotransmitter Serotonin, Noradrenalin und Dopamin manifestiert (Strakowski et al., 2012). Bildgebende Studien der letzten Jahren zeigen zudem ein normabweichendes neurobiologisches Aktivierungsmuster bei BP (Benabarre et al., 2005; Grunze, Meisenzahl, & Grunze, 2013). Insbesondere die neuronalen Netzwerke, die in der Emotionsregulation beteiligt sind, zeigen strukturelle und funktionelle Auffälligkeiten (Adler, DelBello, & Strakowski, 2006; Wessa, Kanske, & Linke, 2014). Es wird angenommen, dass eine reduzierte Konnektivität zwischen ventral-präfrontalen Netzwerken, den limbischen Regionen und der Amygdala vorliegt. Dysregulation der limbischen Regionen führen schließlich zu einem Ungleichgewicht der Homöostase und zur Symptomatik mit Stimmungslabilität und Verhaltensänderungen (Strakowski et al., 2012). Weiterhin zeigt sich bei BP eine erhöhte Aktivität der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse (HHN-Achse), die bei der Steuerung von Stressreaktionen beteiligt ist (Manji & Lenox, 2000). In Interaktion mit biologischen Faktoren spielen psychosoziale Belastungsfaktoren als Triggerfaktoren eine wichtige Rolle. Stress, zwischenmenschliche Konflikte, belastende Lebensereignisse sowie Alkohol- oder Drogenmissbrauch spielen beim Ausbruch der Erkrankung und bei späteren Rezidiven eine wichtige Rolle.

 

Behandlung der bipolaren Störung

In der Behandlung der bipolaren Störung versucht man Rezidiven entgegenzusteuern, sodass sich die Patienten möglichst lange stabil in phasenfreien Intervallen befinden. Dafür wird nach der antidepressiven oder antimanischen Behandlung in der Akutphase im Sinne einer Rückfallprophylaxe eine medikamentöse Erhaltungstherapie fortgesetzt (Pfennig et al., 2012). Klassische stimmungsstabilisierende Medikamente sind Lithium, Valproat, Lamotrigin und Carbamazepin. Weiterhin können Antipsychotika wie z.B. Quetiapin zur Phasenprophylaxe eingesetzt werden (Pfennig et al., 2012). Weitere wichtige Bausteine der Therapie sind Psychoedukation, Psychotherapie und möglicherweise die Unterstützung durch SozialarbeiterInnen. Ziel dieser Therapien ist ein verbesserter Umgang mit der Erkrankung, eine Rückfallprophylaxe sowie eine Verbesserung der Lebensqualität (Meyer, 2013). Ziel ist es, den Patienten Strategien an die Hand zu geben, um künftige Episoden zu verhindern oder zumindest reduzieren zu können. Weiterhin werden individuelle Problembereiche oder komorbide Störungen des Patienten bearbeitet. Häufige komorbide psychische Erkrankungen sind Alkoholmissbrauch oder -abhängigkeit (29%) (Cerullo & Strakowski, 2007), Angststörungen (21%) (Chen & Dilsaver, 1995b), Zwangsstörungen (21%) (Chen & Dilsaver, 1995a) und Aufmerksamkeits- Defizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS; 9.5%) (Nierenberg et al., 2005).