Fachgutachten

Gemeinsames Sorgerecht für den
nicht verheirateten Vater

Anmerkung zu:    OLG Naumburg 2. Senat für Familiensachen Beschluss vom
                            12.08.2010 - 8 UF 56/10

Autor:                  Norbert Maes, RA und FA für Familienrecht

Erschienen:         03.05.2011

Quelle:                Juris

Fundstelle:          jurisPR-FamR 9/2011 Anm. 1

Herausgeber:     Andrea Volpp, RA'in und FA'in für Familienrecht
                           Dr. Peter Friederici, Vors. RiOLG a.D.
                           Franz Linnartz, RA und FA für Erbrecht und Steuerrecht


Gemeinsames Sorgerecht für den nicht verheirateten Vater


Orientierungssatz zur Anmerkung 

Durch die Entscheidung des BVerfG vom 21.07.2010 kann auch der nichtver heiratete Vater die Übertragung des gemeinsamen Sorgerechts oder eines Teiles davon beans pruchen, wenn es dem Kindeswohl dient.

  1. Problemstellung Welche konkreten Auswirkungen hat die Entscheidung des BVerfG vom 21.07.2010 (1 BvR 420/09) auf die Sorgerechtsanträge nicht verheirateter Väter?

  2. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Das AG Haldensleben wies den Antrag eines nicht verheirateten Vaters auf Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge für sein 13jähriges Kind zurück, für das er unmittelbar nach der Geburt die Vaterschaft anerkannt, ohne dass aber die Mutter des Kindes eine Sorgeerklärung abgegeben hatte. Seit dem zweiten Lebensjahr der Tochter lebten die Eltern getrennt. Bis dahin waren sie beide vollschichtig tätig gewesen und hatte n sich die Betreuung und Versorgung des Kindes geteilt. Seit zehn Jahren bestanden gerichtlic h ausgetragene Meinungsverschiedenheiten über die Umgangsgestaltung. In den letzten vier Jahren fand kein Umgang mehr statt. Der Vater ist seit ca. sieben Jahren mit Unterbrechungen und seit vier Jahren ununterbrochen arbeitsunfähig, was er hauptsächlich auf den Ko ntaktverlust zu seinem Kind zurückführt. Durch den Umgangsausschluss fühlt er sich in seinen Grundrechten aus Art. 6 GG verletzt und diskriminiert. Es müsse geprüft werden, ob in seinem Fall die Erteilung des gemeinsamen Sorgerechts dem Kindeswohl dienlich sei. D as AG Haldensleben führte in seiner Entscheidung aus, eine gesetzliche Grundlage für den A ntrag bestehe nicht, die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (E GMR) vom 03.12.2009 (22028/04) ändere hieran zunächst nichts, solange die natio nale Regierung die Entscheidung nicht umgesetzt habe. Insofern komme sein Antrag zu früh . Außerdem fehle dem Antragsteller nach eigener Darstellung die Fähigkeit, Entscheidungen für das Kind zu treffen, da seit etlichen Jahren kein persönlicher Kontakt mehr bestehe. Das OLG Naumburg wies die Beschwerde des Vaters zurück. Zwar könn e seit der während des Beschwerdeverfahrens ergangenen Entscheidung des BVerfG vom 2 1.07.2010 (1 BvR 420/09) in Ergänzung zu § 1662 Abs. 1 BGB auch dem nicht verheirateten Vater die elterliche Sorge übertragen werden, bis eine gesetzliche Neuregelung in Kraft sei, allerdings müsse zu erwarten sein, dass das dem Kindeswohl am Besten entspräche, was im vorliegenden Fall nicht gegeben sei. Die Übertragung der gemeinsamen Sorge komme sch on deshalb nicht in Betracht, weil seit inzwischen 11 Jahren anhaltender Streit der Eltern über die Gestaltung bzw. den Ausschluss des Umgangs bestehe und die Mutter des Kindes die gemeinsame Sorge des Kindes ablehne. Die zahlreichen gerichtlichen ausgefochtenen Meinungsverschiedenheiten der Eltern zum Umgangsrecht hätten gezeigt, dass ein Einvernehmen zur Regelung der Angelegenheit des Kindes nicht vorhanden und auch bei gemeinsamer elterlicher Sorge nicht zu erwarten sei. Eine Kooperationsbereitschaft der Eltern fehle völlig. Sie sei angesichts der gerichtsbekannten massiven Beleidigungen, mit denen der Vater die Mutter überziehe und die auch dem Kind nicht verborgen blieben, auf absehbare Zeit nicht zu erwarten. Allein das könne im Einzelfall ausreichend sein, um den bestehenden Zustand zu belassen bzw. im Falle einer bestehenden gemeinsamen Sorge der Mutter die Alleinsorge zu übertragen. Im Übrigen werde das Kind seit mehr als zehn Jahren allein von der Mutter betreut, was zu einer faktischen Privilegierung der Mutter durch die dadurch zum Ausdruck kommende Kontinuität führe. Darüber hinaus bestünde seit 2006 überhaupt kein Umgang zwischen Vater und Tochter. Das inzwischen 13 Jahre alte Kind lehne nach eigenem Vorbringen des Vaters jeglichen Kontakt zu ihm ab. Daher sei eine tatsächliche Grundlage für die Änderung der bestehenden elterlichen Sorge im Interesse des Kindeswohls nicht vorhanden. Das angestrengte Verfahren diene nach dem Vorbringen des Vaters ausdrücklich seinen eigenen Interessen, insbesondere der Durchsetzung seines Vaterrechts und seines Rechts auf Familienleben gemäß Art. 6 GG und Art. 8 Abs. 1 der Konvention. Inwiefern die beantragte gemeinsame elterliche Sorge im konkreten Fall dem Wohl des Kindes dienen solle, sei vom Vater nicht dargelegt worden. Der Ausschluss des Vaters von der elterlichen Sorge mag zwar sein Vaterrecht und sein Recht auf Familienleben berühren, die Bedürfnisse und Interessen der Elternteile müssten aber bei einer Interessen-abwägung hinter die Interesse des Kindes zurücktreten. Auch der europäische Gerichtshof sehe das nicht anders und führe in seiner Entscheidung aus, dass es triftige Gründe dafür geben könne, einem nicht verheirateten Vater die Teilhabe an der elterliche Sorge zu versagen, etwa wenn Streitigkeit oder mangelnde Kommunikation zwischen den Eltern das Kindeswohl gefährden (vgl. EGMR, Urt. v. 03.12.2009 - 22028/04 Ziff. 56). Gegenüber dem vorliegenden Fall habe der EGMR über den Antrag eines Vaters entschieden, der das Kind zunächst drei Jahre mit der Mutter gemeinsam und danach zweieinhalb Jahre allein betreut und versorgt hätte. Nach einer gerichtlichen Einigung über den Umgang hätte der Vater die gemeinsame Sorge beantragt, weil die Mutter einer gemeinsamen Sorgeerklärung nicht zustimmen wollte, obwohl beide Elternteile sich im Übrigen gut miteinander hätten verständigen können. Der hier zu entscheidende Fall liege demgegenüber wesentlich anders.

  3. Kontext der Entscheidung

    Seit Jahren nimmt die Zahl der nichtehelichen Lebensgemeinschaften zu. Während durch die
     Kindschaftsreform im Jahr 1998 auch nach der Ehescheidung die gemeinsame elterliche Sorge regelmäßig beibehalten wird, waren nicht verheiratete Väter nach dem Scheitern der nichtehelichen Lebensgemeinschaft von der elterlichen Sorge für ihre Kind ausgeschlossen, weil die Mutter in den seltensten Fällen beim Jugendamt eine Sorgeerklärung abgegeben hatte. Stellte sich heraus, dass das Kind beim Vater besser aufgehoben war, etwa weil es dort mehr gefördert wurde und eine größere Bindungstoleranz bestand, war es ihm durch § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB verwehrt, die Übertragung des Sorgerechts beim Familiengericht zu beantragen. Verfassungsbeschwerden in den Jahren 1999 und 2001 waren zunächst erfolglos. Das BVerfG bestätigte mit Urteil vom 29.01.2003 (1 BVL 20/99, 1 BVL 933/01) die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift. Demgegenüber stellte der EGMR im Urteil vom 03.12.2009 (22028/04) fest, der grundsätzliche Ausschluss der nicht verheirateten Väter von der elterlichen Sorge bei fehlender Sorgeerklärung der Mütter verletze Art. 14 EMRK i.V.m. Art. 8 EMRK. Daraufhin kam nun auch das BVerfG im Beschluss vom 21.07.2010 (1 BvR 420/09) zum Ergebnis, der alte Rechtszustand sei nicht mehr tragbar. Viele Väter haben diese Entscheidung zum Anlass genommen, die gemeinsame- bzw. alleinige elterliche Sorge auf sich zu beantragen. In den meisten Fällen werden sie damit wohl nicht durchdringen. Allerdings übertrug das OLG Hamm mit Beschluss vom 07.10.2010 (2 WF 211/10) unter Berufung auf das BverfG dem nicht verheirateten Vater das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht über die schulischen Belange des Kindes bestimmen zu dürfen. Hintergrund waren Alkoholprobleme des Ehemannes der Mutter des Kindes, die zu seiner Vernachlässigung geführt hatten. Das Brandenburgische OLG übertrug mit Beschluss vom 20.08.2010 (10 WF 187/10) einem nicht verheirateten Vater, bei dem die Kinder bereits lebten, im Wege einstweiliger Anordnung vorläufig das Recht, Schule und Kindergarten für die Kinder bestimmen zu dürfen.

  4. Auswirkungen für die Praxis

    Die vorliegende Entscheidung macht deutlich, dass trotz der Entscheidungen des EGMR und des BVerfG den nicht verheirateten Vätern nicht automatisch die gemeinsame Sorge zugesprochen wird. Nicht das Recht des nicht verheirateten Vaters an der Teilhabe der
     elterlichen Sorge stand im Fokus der höchst richterlichen Entscheidungen, sondern das Wohl der Kinder. Gerade in den Fällen, in denen es seit der Trennung der nicht verheirateten Eltern Konflikte und Schwierigkeiten mit dem Umgang gab, lässt die Forderung des Vaters nach der gemeinsame Sorge eher vermuten, dass weitere Konflikte um die Ausübung der elterlichen Sorge hinzukommen. Bedeutsam wird die aktuelle Entscheidung des BVerfG vor allem für solche Fälle, in denen die Alleinsorge dem nicht verheirateten Vater zu übertragen ist, weil er besser für das Kind sorgen kann. Anders als nach der alten Rechtslage, in der der Maßstab des § 1666 BGB galt, wonach das weitere Verbleiben des Kindes im Haushalt der Mutter schlicht unhaltbar gewesen wäre, lassen sich jetzt auch Fälle denken, in denen dem nicht verheirateten Vater das alleinige Sorgerecht zu übertragen ist, obwohl auch die Mutter über hinreichende Erziehungskompetenz verfügt, etwa, weil das Förderungsprinzip, die Bindungstoleranz und auch der Wille des Kindes dafür sprechen, zum Vater wechseln zu dürfen. In diesen Fällen sind allerdings weiterhin die Kriterien gültig, die für geschiedene oder getrennt lebende Eltern von der Rechtsprechung entwickelt wurde